Gestern nahm ich an einem Symposium teil, auf dem von einigen Teilnehmern (oder vor allem der Moderation) der Verlust des Autors beklagt wurde. Die Begründung geht in etwa so: Weil man in Gruppen-Projekten wie der Wikipedia gar nicht mehr weiß, wer genau einen Artikel verfasst hat, kann man auch nicht wissen, ob man dem Text vertrauen kann. (Autor kommt ja von Autorität. So habe ich das zumindest im Linguistik-Teil meines Studiums gelernt.)
Das Argument fand ich allerdings eher schwach. Erstens ist es kein Phänomen der digitalen Welt. Es gab auch zu den Hochzeiten der Holzmedien bereits Gruppenprojekte, bei denen die Autorität nicht über den Autor entsteht, sondern die Publikation. In welcher Enzyklopädie erfährt man schon den Einzelautoren eines Artikels?
Die Angst vor den Verlust der Autorenschaft finde ich übertrieben. Im Brockhaus kenne ich auch den Einzelautor nicht. #zkm
— Mela Eckenfels (@Felicea) October 22, 2014
Zusätzlich geht mir die Ansicht des deutschen Literaturbetriebs{{1}} auf den Keks, die sich immer noch am literarischen Werk als Nachweis des Genies eines Einzelnen festklammert. Mir ist da Kathrin Passigs pragmatischer Ansatz, Textarbeit, auch literarische, mehr als Teamleistung zu begreifen, viel näher.
Kathrins pragmatischer Ansatz der Textarbeit vs. das herkömmliche "Genie"-Denken, bei dem der erste Entwurf der Richtige ist. #zkm
— Mela Eckenfels (@Felicea) October 22, 2014
Ich selbst arbeite eigentlich ziemlich gerne mit anderen zusammen. Zumindest bei umfangreicheren Werken, wie man an meinen beiden Büchern mit Petra Hildebrandt sieht. Und auch den Einsatz meiner Lektorinnen, Redakteurinnen und Redakteure weiß ich sehr zu schätzen. Schon kleine Impulse von aussen machen die meisten Werke sehr viel besser oder überhaupt erst möglich.
Und dann fiel mir heute ausgerechnet noch ein passendes Zitat in einer Vorlesung von William Kuskin vor die Füße:
In fact, the story was not written by Bob Kane, but was actually written by Gardner Fox.
And even more, much of Batman, the cowl, the cape, the gloves, the dark colors, were all contrived by Kane’s partner, Bill Finger, no one can test this.
Thus the creation of Batman, is not unified by one person’s intention, or even by one publication. Even this splash image of Batman is taken from Detective Comics Number 34. So even the illustration is not unified.
[…]
To my mind, these observations undercut the intention of any single author figure for popular comics.
[…]
Even when they are attributed to individuals such as Bob Kane, there are multiple influences and a variety of creators also at work. It recalls too, that much wonderful literature, literature we deem high art now was produced by groups of people but labelled according to one name.
Many editors and collaborators have fallen by the wayside of anonymity in favor of the myth of the single author.
We should be respectful enough to realize these many influences even if we cannot name them.William Kuskin, Coursera: Comic Books and Graphic Novels, Lecture 10b: Who is The Batman?
Übersetzung:
Tatsächlich wurde die Story nicht von Bob Kane geschrieben, sondern von Gardner Fox. Und mehr noch, viele Aspekte von Batman, der Anzug, das Cape, die Handschuhe, die dunklen Farben, wurden alle von Kanes Partner, Bill Finger, entwickelt. Das kann niemand bestreiten. Daher ist die Entwicklung von Batman nicht in der Absicht einer Person vereint. Nicht einmal, in einer Publikation. Sogar das Titelbild von Batman stammt von Detective Comics Nummer 34. Sogar die Zeichnungen sind nicht einer Person zuzuordnen.
[…]
Ich bin der Ansicht, diese Beobachtungen unterminieren die Absicht einer einzelnen Autorenfigur für populäre Comics.
[…]
Selbst wenn sie einem einzelnen Individuum zugeordnet werden, wie Bob Kane, sind da vielzählige Einflüsse und eine ganze Reihe an Künstlern am Werk. Es erinnert uns auch, dass viel wunderbare Literatur, Literatur, die wir heute als hohe Kunst betrachten, von einer Gruppe produziert, aber dann nur einem Namen zugeschrieben wurde.
Viele Kollaborierende und Editoren sind am Straßenrand der Anonymität liegen geblieben, um den Mythos des Einzelautoren zu bewahren.
Wir sollten so respektvoll sein, diese vielzähligen Einflüsse zu erkennen, auch wenn wir sie nicht benennen können.
[[1]] Aus dem angloamerikanischen Raum kenne ich das so extrem nicht. [[1]]-
Autor kommt vom lateinischen ‚auctor‘, das genau wie ‚auctoritas‘ [und parallel] auf ‚auctare‘ zurück geht: [ver]mehren, bereichern – in diesen beiden Fällen vermutlich Wissen.
Äh, ja. Ich hab’s natürlich auch genau verwürfelt. Autorität kommt von Autor.
[Sorry für zweiten Kommentar, ich wollte klugscheissen vom meinungen trenne.]
Es sollte völlig egal sein, ob ein Name an einem Lexikonartikel bzw. reinen Wissensbeitrag steht, denn wir verlassen uns nun seit mindestens Hume nicht mehr auf die Autorität eines Menschen, um den Wahrheitswert einer Aussage zu ermitteln. Selbstverständlich hilft es für eine erste, schnelle Einordnung zu wissen, welcher Kasper uns da vom Pferd erzählt.
So lese ich von vornherein Artikel bestimmter Autoren nicht, entweder weil sie mich mit dem immer gleichen Kram langweilen oder weil bisher jeder ihrer Beiträge sich als hanebüchener Unsinn heraus gestellt hat. Das kann natürlich nach hinten los gehen, da induktive Schlüsse nicht valide sind*.
*nur zufällig richtig sind