Der Börsenverband hat was neues ausgebrütet und Phantanews berichtet darüber. Mir schlägt erst mal die Kinnlade auf dem Tisch auf und danach nur noch rhythmisch die Stirn auf der Tischplatte.
Diesmal soll es DRM per TextVERÄNDERUNG sein. Ja. Richtig gelesen. Anders als zum Beispiel bei Drive-Thru-RPG, wo der Name des Käufers dann klein unten auf jeder Seite des PDFs erscheint, soll das Wasserzeichen nicht ins Dokument eingebettet werden, sondern das Wasserzeichen ist die spezifische Veränderung des Textes im Vergleich zum Original. Wie genau das aussieht, hat Stefan Holzhauer bei Phantanews bereits schön dargestellt. Daher gehe ich hier nur mal auf die Auswirkungen ein, die mir schon in den ersten 5 Minuten ohne hartes Nachdenken einfallen:
- Autoren, die oft zurecht stolz auf ihre sprachliche Eleganz sind, brauchen sich gar keine Mühe mehr zu geben, denn das wird elektronisch ohnehin noch mal durcheinandergewürfelt. Als Hemingway von einem Interviewer gefragt wurde, warum er den Schluß eines Buches 40 Mal umgeschrieben hätte, was denn das Problem gewesen sei, antwortete Hemingway, er habe Probleme gehabt die richtigen Worte zu finden. Das ist dann alles überflüssig. Das letzte Wort hat die Technik.
- Eine Schulklasse mit 30 eReadern, die 30 mal das gleiche Werk für den Unterricht erworben hat, besitzt unterschiedliche Versionen.
- Natürlich würde es dann Klassensätze und Schulsätze identischer Werke geben und die Eltern dieser geistigen Fehlgeburt wären der Ansicht, das löse das Problem. Schul- oder Klassenkooperationen mit einer anderen Klasse in einer anderen Stadt oder einer deutsch-lernenden Klasse sonstwo, könnte es dann aber schon nicht mehr geben.
- Das gleiche gilt für Studenten vor allem an Fernunis, Lesekreise, Arbeitsgruppen …
- Die Zitierfähigkeit elektronischer Werke wird verhindert.
- Zukünftige Autoren lernen guten Stil nicht mehr durch das Lesen von möglichst vielen Büchern die in gutem Stil geschrieben wurden. Der Stil ist schließlich maschinell entstellt.
- Davon ausgehend, wieviele sinnentstellende Übersetzungen selbst durch menschliche Übersetzer verursacht werden, (zum Beispiel wurden in Bruce Schneiers „Secrets and Lies“ eine Anspielung auf „the force“ aus Star Wars mit „Sturmtruppen“ übersetzt) kann man sich ohne Probleme vorstellen wieviele sinnentstellende Veränderungen ein Programm einbaut. Für eine maschinelle Bearbeitung ist Sprache viel zu umfangreich, zu flexibel und weder Technik noch Computerlinguistik als Fach sind im Jahr 2013 schon weit genug.
- Das wird vor allem bei Fachliteratur ein reines Drama, wo Fachbegriffe und Abkürzungen mit bekannten einfachen Wörtern und Füllwörtern verwechselt werden können.
- Auch durch einfache Umstellungen verzerrt sich nicht selten der Sinn. Was wenn es bei Ersthilfewerken, medizinischer Literatur oder in allen Bereichen in denen es um Menschenleben geht, zu sinnentstellenden Veränderungen kommt?
Das Fraunhofer-Institut hielt ich mal für eine seriöse Forschungseinrichtung. Inzwischen habe ich eher den Eindruck, für Geld entwickeln die jeden Scheiß.
Und nun, damit es alle nochmal verstehen. DRM funktioniert nicht! DRM muß sterben!
P.S.
Und noch ein Nachtrag für den Börsenverein:
Wenn man an Mitteln und Wegen überlegt, mit einem Produkt (mehr) Geld zu machen, ist es eine verdammt schlechte Idee die Essenz des Produktes zu zerstören.–
Erst dachte ich, die denken vielleicht an textliche Veränderungen außerhalb des eigentlichen Werkes, z. B. individuelle Widmungen, oder an den unsichtbaren Austausch einzelner Satzzeichen durch Satzzeichen einer anderen Schrifttype. Aber dann habe ich mir die Textbeispiele im Test-PDF angesehen, das im Börsenblatt-Artikel verlink ist. Unmotivierte Zeilenumbrüche, neu arrangierte Absatzmarken, Bindestrichinflation, stilistisch-rhythmische Verunstaltungen … Und bei einer Auflage von 10.000 Exemplaren werden nach Adam Ries mindestens 14 solcher Veränderungen vorgenommen. Sag mal, haben wir schon wieder den 1. April? Nein? Das meinen die ernst? Meine Kinnlade und deine Kinnlade können jetzt einen Club aufmachen.
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